TechnikTödliches Erbe in der Ostsee: Gefährlicher Sprengstoff am Meeresgrund

Tödliches Erbe in der Ostsee: Gefährlicher Sprengstoff am Meeresgrund

Das Thema der tödlichen Relikte vergangener Konflikte kehrt regelmäßig in den Medien und darüber hinaus zurück. Leider bleibt es ungelöst, und in den Gewässern der Ostsee lauern viele Gefahren.

Munition im Wasser gefunden - Beispielbild
Munition im Wasser gefunden - Beispielbild
Bildquelle: © Scripps Institution of Oceanography

Die Tiefen des Meeres sind selbst bei einem relativ flachen Meer wie der Ostsee für Menschen unwirtlich. Seit jeher warnten Menschen vor den Gefahren, die dort lauern: Seeschlangen, Kraken, Sirenen, Leviathan, Cthulhu und andere Wesen. Obwohl sie reale Bedrohungen andeuteten, waren dies nur mythische Kreaturen.

Tatsächlich liegen am Grund der Ostsee gefährliche Fässer mit tödlichem Inhalt. Kürzlich erinnerte Professor Jacek Bełdowski vom Institut für Ozeanologie der Polnischen Akademie der Wissenschaften in seinem Vortrag "Versenkte Munition in der Ostsee – ein vergessenes Problem", gehalten im Museum des Zweiten Weltkriegs in Danzig, an diese Gefahr.

Schlafende Massenvernichtungswaffen

Der Wissenschaftler ist in NATO- und EU-Forschungsprogramme zur Überwachung des Zustands von chemischen Waffen involviert, die am Boden der Ostsee lagern. Wie sind sie dorthin gelangt? Es handelt sich um Überreste aus dem Zweiten Weltkrieg, während dessen das Dritte Reich unter anderem Kampfstoffe wie Gase in großem Umfang herstellte. Diese wurden zwar aus Angst vor alliierten Vergeltungsschlägen nicht massenhaft eingesetzt, sie kamen jedoch unter anderem beim Völkermord an Polen, Juden und anderen zum Einsatz.

Ein großer Teil der deutschen Vorräte an Senfgas, Sarin, Tabun, Blausäure und anderen Stoffen überlebte den Krieg und wurde von den Alliierten übernommen. Sie teilten das Schicksal des restlichen deutschen Arsenals: Während der Potsdamer Konferenz entschieden die sogenannten "Großen Drei", dass deutsche Waffen den Siegern zur Verfügung gestellt oder zerstört werden sollten. Im Fall chemischer Waffen gab es zwei Möglichkeiten: eine kostspielige und komplizierte chemische Entsorgung oder die Verschiebung des Problems. Man entschied sich für die zweite Methode, konkret für deren Versenkung in der Ostsee.

Zwei Hauptlagerstätten wurden ausgewählt: in der Nähe der Gotland-Tiefe (ca. 2000 Tonnen chemische Munition) und in der Nähe der Bornholm-Tiefe (ca. 38.000 Tonnen). Weitere ca. 150.000 Tonnen chemische Kampfmittel wurden mit deutschen Schiffen in der Dänemarkstraße versenkt, und 1.000 Tonnen versenkten die Deutschen selbst Ende des Krieges in dänischen Gewässern.

Es sind auch erheblich höhere Schätzungen bekannt: Allein in der Zentralen Ostsee könnten über 90.000 Tonnen chemische Munition liegen. Der Großteil der Ladung wurde 1947 durch die gemeinsame Anstrengung Großbritanniens, der USA und der UdSSR versenkt, wobei die DDR ähnliche "Entsorgungen" in der Danziger Bucht noch 1954 vornahm. Auch außerhalb der Ostsee wurden chemische Waffen in der Biskaya versenkt.

Die Methoden der Versenkung variierten: sowohl in den Laderäumen versenkter Schiffe als auch einzeln in Metallfässern. Es handelt sich um Stoffe, von denen das harmloseste Tränengas ist, und die meisten sind Substanzen, deren extrem geringe Mengen (im Fall von Sarin genügen Mikrogramm) einen erwachsenen Menschen töten können. Ihr Gesamtgewicht schwankt laut unterschiedlichen Schätzungen zwischen 6.000 Tonnen und 13.000 Tonnen. Nicht alle wurden lokalisiert, da einige außerhalb der offiziellen Lagerorte versenkt wurden, so ein Bericht der HELCOM CHEMU (Expertengruppe der Helsinki-Kommission).

Bisher identifizierte Lagerorte, darunter Waffenlager in Bałyk.
Bisher identifizierte Lagerorte, darunter Waffenlager in Bałyk.© maritime-forum.ec.europa.eu

Die Skala der Gefahr

Auf die ersten Zwischenfälle musste man nicht lange warten. 1955 spülte das Meer am Strand von Darłówek ein Fass mit Senfgas an – etwa 100 Menschen, darunter Kinder, erlitten Verbrennungen oder sogar Sehverlust. Fässer, Dosen und ähnliches tauchten in den folgenden Jahren an Stränden und in Fischernetzen auf. 1997 erlitt die Besatzung eines Fischerbootes Verätzungen durch Senfgas, und 2012 wurde ein Strand in der Nähe von Czołpino mit weißem Phosphor kontaminiert. In jedem dieser Vorfälle verursachten vergleichsweise geringe Mengen an Substanzen Verletzungen.

Wenn jedoch größere Mengen von Hunderten Tonnen gleichzeitig freigesetzt würden, würde eine ökologische Katastrophe geschehen. Im Grunde wissen wir nicht, wie viel Zeit uns bleibt. Chemische Waffen lagern auf dem Meeresgrund hauptsächlich in verschiedenen Geschossen oder Metallbehältern. Salzige Gewässer und die Aktivität von Fauna und Flora fördern jedoch die Korrosion.

Laut dem Vortrag von Professor Bełdowski gibt es zwei Meinungen: Nach der ersten könnte es nach relativ kurzer Zeit (60-120 Jahre nach der Versenkung) zu einer beschleunigten Korrosion kommen; nach anderen Studien könnte dies sogar 500 Jahre dauern. Wir wissen noch nicht, ob diese Korrosion die Behälter mehr oder weniger gleichzeitig oder allmählich undicht machen wird.

Das zweite Szenario ist optimistisch: Es käme lediglich zu lokalen Verunreinigungen von Zeit zu Zeit, und langfristig hätte es kaum Einfluss auf das Ökosystem der Ostsee. Das erste Szenario könnte jedoch das Leben in der Ostsee zum Erliegen bringen, möglicherweise auch in Teilen der Nordsee. Es ist offensichtlich, wie dies das Leben der Menschen an der Ostsee beeinflussen würde, besonders da wir selbst Teil des Ökosystems sind.

Möglicherweise laufen beide Szenarien parallel, denn heute ist bekannt, dass Behälter mit Senfgas oder Sarin nicht dicht sind, und Tiere, die in der Nähe der Versenkungsgebiete leben, weisen eine deutlich schlechtere Gesundheit auf als ihre Artgenossen, die weiter entfernt leben.

Entschärfung der tickenden Bombe

Selbstverständlich werden Maßnahmen zur Reduzierung des Risikos ergriffen. Eines der jüngsten ist das EU-Programm MUNIMAP, das jedoch über ein geringes Budget verfügt. Das internationale Programm zielt darauf ab, den Status chemischer Waffen zu überwachen und zu untersuchen, die auf dem Meeresboden versenkt wurden. Dies stellt auch ein rechtliches Problem dar: Derzeit wird es als militärische, nicht ökologische Bedrohung betrachtet, und Versuche, sie zu bergen, sind mit dem Problem verbunden, in den Besitz chemischer Waffen zu gelangen.

Auch das Militär soll letztlich einen Beitrag zur bislang zivilen Initiative leisten, da es über spezielle Ausrüstung zur Überwachung von Unterwasserobjekten verfügt. Die polnische Marine beteiligt sich regelmäßig an der Neutralisierung von Unterwasserobjekten, die eine Gefahr darstellen. Trotzdem sind bisher keine wirksamen Abhilfemaßnahmen sichtbar. Zum Beispiel bewertete der Oberste Kontrollrat in seinem Bericht von 2020 "Vorkehrungen gegen die durch die Lagerung gefährlicher Materialien auf dem Grund der Ostsee verursachten Gefahren" die Tätigkeit der Behörden negativ.

Bisher haben nur die Deutschen etwas mehr investiert – 100 Millionen Euro (zum Vergleich: Die Bekämpfung einer möglichen umfangreichen undichten Stelle chemischer Waffen könnte bis zu 2,5 Milliarden Euro pro Jahr kosten) – in die Entwicklung eines Systems zur sicheren Bergung und Entsorgung von Kriegsrückständen. Das Problem jedoch, so Prof. Bełdowski, hat die deutschen Experten übertroffen, denn ein größeres Risiko als die Erzeugnisse ehemaliger deutscher Ingenieure stellt sich als das moderne deutsche Recht heraus, das es verbietet, Munition vom Meeresboden zu bergen, es sei denn, sie bedroht direkt Menschen.

Anders gesagt, wir überwachen die Situation, aber weder die Ingenieure noch die Juristen sind bereit, das Problem zu lösen, das die völlige Zerstörung eines für viele Länder wichtigen Gewässers bedroht.

Nicht nur chemische Waffen

Chemische Waffen sind nur die Spitze des Eisbergs. Die Ostsee war Schauplatz intensiver Kämpfe während des Krimkriegs und beider Weltkriege, sie war Zeuge vieler See- und Luftkatastrophen. Jedes versunkene Schiff bedeutet Dutzende, wenn nicht Hunderte oder sogar Tausende Tonnen Treibstoff (allein der am Boden der Danziger Bucht versunkene Tanker T/S Franken enthält ca. 3.000 Tonnen Treibstoff), sowie Artilleriegeschosse, Torpedos und nicht selten gefährliche Ladungen (Tonnen von Medikamenten, Reagenzien usw.).

Im Baltikum werden von Zeit zu Zeit Seeminen gefunden, die manchmal frei umherschwimmen und Schiffe bedrohen. Ihre ältesten Passagiere erinnern sich vielleicht nicht einmal mehr an den Krieg, dessen Relikt jene Minen darstellen. All dies verstärkt das Problem zusätzlich und die Säuberung der Ostsee von den dort lagernden tödlichen Überresten geht nur schleppend voran.

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