Russlands Siegestag: Zwischen Stolz, Propaganda und Kontroversen
Warum feiert Russland den Tag des Sieges am 9. Mai und nicht am 8. Mai? Was verbirgt sich hinter der Parade auf dem Roten Platz und welche Kontroversen ruft dieses Fest in der westlichen Welt hervor? Lernen Sie die Geschichte, Symbolik und aktuelle Bedeutung des russischen Siegestages kennen.
Der Siegestag, der am 9. Mai gefeiert wird, ist eines der wichtigsten Staatsfeste in Russland, das an die Kapitulation Nazideutschlands und das Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa erinnert. Es ist ein Fest voller Pathos, militärischer Paraden und nationalem Stolz, aber auch ein Ereignis, das sowohl in Russland selbst als auch international Kontroversen auslöst. Es lohnt sich, seine Geschichte, Symbolik sowie den Wandel der Feierlichkeiten im Laufe der Jahre zu betrachten.
Was gibt es zu wissen?
- Der russische Siegestag wird am 9. Mai gefeiert, im Gegensatz zum 8. Mai in westlichen Ländern.
- Das Fest gedenkt der Kapitulation des Dritten Reiches und dem Ende des Zweiten Weltkriegs aus der Perspektive der UdSSR.
- Höhepunkt der Feierlichkeiten ist die Siegesparade auf dem Roten Platz in Moskau.
- Das Ereignis wird von den russischen Behörden propagandistisch genutzt, insbesondere seit dem Krieg in der Ukraine.
- Der Westen, die NATO, die USA, die Europäische Union und viele europäische Länder boykottieren die russischen Feierlichkeiten.
- Die Teilnahme von Ländern wie China, Serbien oder der Slowakei wird als Unterstützung der russischen Erzählung wahrgenommen.
- Wladimir Putin nutzt dieses Fest konsequent, um eine ideologische Botschaft von der "Verteidigung des Vaterlandes" vor Bedrohungen aus dem Westen zu verbreiten.
- In vielen Ländern der Region – darunter Polen – wird der 9. Mai als Element russischer Propaganda betrachtet.
Geschichte des russischen Siegestages
Der Russische Siegestag, der am 9. Mai gefeiert wird, ist eines der wichtigsten Staatsfeste in Russland. Es erinnert an die Kapitulation der Deutschen Wehrmacht und das formale Ende des Zweiten Weltkriegs an der Ostfront. Auch wenn der Sieg über Deutschland von anderen europäischen Ländern gefeiert wird, hat er im Fall Russlands – und früher der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken (UdSSR) – eine besondere propagandistische, historische und emotionale Bedeutung.
Am 9. Mai 1945, in der Nacht vom 8. auf den 9. Mai Moskauer Zeit, wurde in Berlin die bedingungslose Kapitulation des Dritten Reiches vor den Vertretern der UdSSR unterzeichnet. Für Russland wurde dieser Tag zum Symbol für Heldentum und Leid sowie zum zentralen Punkt der Erzählung über den Sieg über den Faschismus. In der Zeit der UdSSR hatten die Feierlichkeiten einen besonders feierlichen Charakter, aber erst seit 1965 wurden jährliche Militärparaden in Moskau auf dem Roten Platz veranstaltet.
Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion im Jahr 1991 verlor der Russische Siegestag nicht an Bedeutung – im Gegenteil. Die Regierung der Russischen Föderation, angeführt von Wladimir Putin, machte aus diesem Fest ein wichtiges Werkzeug der Innen- und Außenpolitik. Die Symbolik des 9. Mai wurde eng mit der Erzählung über die Stärke des Staates und die Notwendigkeit seiner Verteidigung vor Bedrohungen aus dem Westen, der NATO, den USA und der Europäischen Union verbunden.
In den letzten Jahren, besonders nach Beginn des Ukraine-Krieges, erhielten die Feierlichkeiten einen noch stärkeren propagandistischen Ton. Russland betont dabei seine Rolle als "Befreier Europas" und setzt die Rhetorik des Kampfes gegen den Nazismus fort – trotz wachsender Kritik aus vielen westlichen Ländern.
Warum wird der russische Siegestag am 9. Mai und nicht am 8. Mai gefeiert?
Obwohl die meisten westlichen Länder – darunter Polen, Frankreich, Deutschland, die USA und Mitglieder der Europäischen Union – das Ende des Zweiten Weltkrieges am 8. Mai feiern, gedenkt Russland (und früher die UdSSR) dieses Ereignisses einen Tag später, am 9. Mai. Diese Differenz ergibt sich hauptsächlich aus den Zeitzonen und politischen Entscheidungen, die nach dem Krieg getroffen wurden.
Die Unterzeichnung der bedingungslosen Kapitulation des Dritten Reiches fand am 8. Mai 1945 abends in Berlin statt, um ca. 23:01 Uhr mitteleuropäischer Zeit. In Moskau war es jedoch bereits der 9. Mai – nach Mitternacht. Daher wählte die UdSSR den 9. Mai als den offiziellen Tag des Sieges über Nazi-Deutschland.
Die Entscheidung, den 9. Mai zum Staatsfeiertag zu machen, hatte auch einen symbolischen Charakter. Der Sowjetunion ging es darum, ihre Unabhängigkeit und Abgrenzung gegenüber dem Westen zu betonen. Im Kontext des Kalten Krieges und wachsender Spannungen zwischen Ost und West wurde dieser Unterschied im Datum zu einem der Elemente der propagandistischen Abgrenzung von den kapitalistischen Staaten.
Es ist wichtig zu erwähnen, dass auch heute Russland, unter der Führung von Wladimir Putin, den 9. Mai als Staatsfeiertag beibehält, und die Feierlichkeiten sind sorgfältig geplant und werden in den Medien übertragen. Dieses Datum hat eine enorme Bedeutung für die Schaffung einer nationalen Identität, den Ausbau des Mythos des "Großen Vaterländischen Krieges" und die Aufrechterhaltung der Erinnerung an die Rolle der UdSSR bei der Niederlage des Dritten Reiches – während gleichzeitig die Rolle des Westens, der USA, Großbritanniens oder Frankreichs vernachlässigt oder heruntergespielt wird.
Feierlichkeiten des russischen Siegestages
Der Russische Siegestag ist eines der spektakulärsten und symbolträchtigsten Staatsfeste in Russland. Jedes Jahr am 9. Mai verwandeln sich die Straßen der Städte, insbesondere Moskau, in eine Bühne für ein militärisches Spektakel, dessen Höhepunkt die Siegesparade auf dem Roten Platz ist. Das Ereignis versammelt Tausende von Soldaten, Panzer, Raketen und Kampfflugzeuge – alles dazu gedacht, die Stärke des russischen Militärs zu zeigen und die Erinnerung an den Sieg über das Dritte Reich im Zweiten Weltkrieg zu pflegen.
Das Ereignis ist streng inszeniert und dient nicht nur der Erinnerung, sondern auch als Propagandainstrument. In den Reden, die von Wladimir Putin gehalten werden, dominieren Bezüge zum Kampf gegen den Nazismus und die Rolle der UdSSR, sowie Warnungen vor "Feinden" aus dem Westen, der NATO, den USA und der Europäischen Union. Besonders nach dem Beginn des Ukraine-Krieges wurde die Rhetorik rund um den 9. Mai deutlich verschärft.
Die Feierlichkeiten umfassen auch:
- das Legen von Blumen an Denkmälern für sowjetische Soldaten,
- Märsche des sogenannten Unsterblichen Regiments, bei denen Menschen Porträts ihrer Verwandten tragen, die im Krieg gekämpft haben,
- Bildungs- und Medienveranstaltungen, die die Rolle der UdSSR im Kampf gegen den Nazismus verherrlichen,
- religiöse Feierlichkeiten und patriotische Konzerte.
In den letzten Jahren gewinnt die Siegesparade zunehmend politische Bedeutung – sie wird zu einer Machtdemonstration und einer Gelegenheit, Russlands Aktionen, einschließlich der Aggression gegen die Ukraine, zu legitimieren. Die Teilnahme ausländischer Führungspersönlichkeiten ist oft eingeschränkt. Besuche von Politikern wie Aleksandar Vučić (Serbien) oder Robert Fico (Slowakei) wird als Ausdruck von Unterstützung für die russische geschichtliche Erzählung wahrgenommen.
Kontroversen um den russischen Siegestag
Obwohl der Russische Siegestag staatlichen Charakter hat und als Ausdruck der Ehrerbietung für die Opfer des Zweiten Weltkriegs dargestellt wird, ruft dieses Fest von Jahr zu Jahr mehr Kontroversen hervor – sowohl in Russland selbst als auch außerhalb seiner Grenzen.
Viele Historiker und Beobachter weisen darauf hin, dass der 9. Mai zu einem Propagandainstrument geworden ist, das genutzt wird, um die ausschließlichen Verdienste der UdSSR beim Sieg über das Dritte Reich zu bekräftigen. In der offiziellen Darstellung Moskaus wird zunehmend die Rolle der USA, Großbritanniens, Frankreichs sowie Polens, das ebenfalls große Verluste erlitt und seit 1939 gegen den Nazismus kämpfte, vernachlässigt.
Kontroversen entstehen auch durch die Art und Weise der Geschichtsdarstellung – Russland nutzt zunehmend die Siegesparade und die dazugehörigen Reden, um eigene kriegerische Handlungen zu rechtfertigen, besonders im Kontext des anhaltenden Krieg in der Ukraine. Wladimir Putin vergleicht die Gegner Russlands mit den Nazis und beschuldigt den Westen, die NATO und die Europäische Union, russische Souveränität und Geschichte zerstören zu wollen.
Zusätzlich werden zunehmend Stimmen der Kritik laut gegenüber dem Einsatz von Kindern in Militäruniformen, der Glorifizierung militärischer Stärke und der Marginalisierung der Tragödie der Kriegsopfer. Internationale Organisationen, darunter EU- und Menschenrechtsorganisationen, alarmieren, dass Russland bewusst die Geschichte verfälscht, um die aktuelle Aggression, insbesondere gegen die Ukraine und Länder Osteuropas, zu legitimieren.
Auch haben Entscheidungen einiger Staaten, die Feierlichkeiten zu boykottieren – darunter Polen, Tschechien, Litauen – zunehmend Bedeutung. Sie lehnen die Teilnahme an Feierlichkeiten in Moskau ab und betrachten sie als propagandistisch und geschichtsverfälschend.
Reaktionen der Welt auf den russischen Siegestag
Der Russische Siegestag ruft seit Jahren gemischte internationale Reaktionen hervor. Früher haben viele Staatsoberhäupter – darunter Frankreich, Deutschland, die USA, Italien und auch Polen – an den Jubiläumsveranstaltungen in Moskau teilgenommen. Doch seit der Annexion der Krim im Jahr 2014 und besonders nach Beginn des umfassenden Krieg in der Ukraine im Jahr 2022 haben die meisten westlichen Länder beschlossen, die Feierlichkeiten zu boykottieren und Russland vorgeworfen, die Geschichte für politische Zwecke zu missbrauchen.
Die gegenwärtigen Siegesparaden sind kein Akt internationaler gemeinschaftlicher Erinnerung mehr, sondern eine Machtdemonstration Russlands und eine Demonstration seiner Isolation von der NATO, der EU, den USA und vielen europäischen Ländern. Die Feierlichkeiten am 9. Mai werden auch für die aggressive Rhetorik, die antizivilisatorische Botschaft und das Verwischen der Grenzen zwischen historischer Erinnerung und aktueller Politik kritisiert.
Eine Ausnahme bilden Länder, die enge Beziehungen zu Moskau pflegen – wie China, Serbien oder die Slowakei. Im Jahr 2024 nahmen unter anderem Xi Jinping und Premierminister Robert Fico sowie Präsident Aleksandar Vučić an der Parade teil. Ihre Anwesenheit wurde als Signal der Unterstützung für die von Wladimir Putin präsentierte Erzählung wahrgenommen.
Hingegen erinnern die mittel- und osteuropäischen Länder – wie Polen, Litauen, Lettland, Estland und Tschechien – nicht nur an die Verbrechen der UdSSR, die sowjetische Besatzung und die historische Manipulation von Fakten, sondern boykottieren die Feierlichkeiten aktiv. In diesen Ländern wird der 8. Mai als Tag des Sieges über den Faschismus begangen, jedoch ohne die Rolle der Sowjetunion zu verherrlichen.
Quellen: histmag, Historia Do Rzeczy, rp.pl, forsal.pl, RMF24, polityka.pl