Steigende Todesfälle durch gepanschten Alkohol in der Türkei
Bereits über 160 Menschen sind dieses Jahr in der Türkei an einer Vergiftung durch kontaminierten Alkohol gestorben. Das deutsche Außenministerium hat sogar eine Warnung für Touristen herausgegeben.
Raki - türkischer Anisschnaps - ist weit mehr als nur ein alkoholisches Getränk. Es ist tief in der türkischen Gesellschaft verwurzelt und ein wichtiger Bestandteil der türkischen Festkultur.
In den letzten Jahren wurde diese Tradition jedoch durch einen beunruhigenden Anstieg der Todesfälle durch Alkoholvergiftung überschattet. Besonders betroffen sind große Städte wie Istanbul, Ankara und Izmir sowie Urlaubsregionen.
Seit Anfang des Jahres sind mindestens 160 Menschen an einer Vergiftung durch kontaminierten Alkohol gestorben. Laut dem türkischen Innenministerium wurden bis Ende Februar 648.000 Liter illegal hergestellter Alkohole wie Raki, Wodka, Whisky, Gin und andere beschlagnahmt, und etwa 560 Verdächtige wurden verhaftet.
Deutsches Außenministerium warnt
Die Preise für alkoholische Getränke sind in der Türkei in den letzten Jahren aufgrund hoher Abgaben erheblich gestiegen. Eine Flasche Raki kostet derzeit etwa 35 Euro. Angesichts eines Mindestlohns von etwa 572 Euro im Monat ist das für viele unerschwinglich.
Das Außenministerium in Berlin und Experten warnen dringend vor dem Konsum von Alkohol unbekannter Herkunft in der Türkei. Urlaubern in der Türkei wird empfohlen, beim Konsum von Alkohol besonders vorsichtig zu sein, die Originalverpackung der Getränke vor dem Konsum genau zu betrachten und sicherzustellen, dass das blau-türkisfarbene Steuerband auf dem Flaschenverschluss unversehrt ist.
Die türkische NGO Alkoholpolitik-Beobachtungsplattform hat kürzlich auch zusätzliche Ratschläge auf ihrem X-Kanal veröffentlicht: "Meiden Sie Restaurants, die unbegrenzten Alkoholkonsum anbieten. Bestellen Sie am besten eine versiegelte Flasche und öffnen Sie sie selbst, um sicherzustellen, dass das Original-Siegel unversehrt ist", heißt es.
Der Hauptgrund für die Vergiftungen ist die Verwendung von billigem Methanol, das in illegal produzierten Getränken anstelle von teurem Ethanol hinzugefügt wird. Cagin Tan Eroglu von der Alkoholpolitik-Beobachtungsplattform betont, dass gefälschter Alkohol in Geruch, Farbe und Geschmack nicht von normalem Alkohol zu unterscheiden ist. Methanol ist hochgiftig und kann zu Sehstörungen, Erbrechen, Schläfrigkeit und Organversagen führen und im schlimmsten Fall sogar zum Tod.
Kritik an der Alkoholpolitik und deren Auswirkungen
Eroglu kritisiert die türkische Steuerpolitik, die zu einem enormen Anstieg der Preise für alkoholische Getränke geführt hat. Seit 2013 werden die Steuern automatisch alle sechs Monate erhöht, was zu einem unverhältnismäßigen Anstieg der Preise geführt hat. Dazu kommt die galoppierende Inflation. Diese Situation hat viele Bürger gezwungen, nach billigeren Alternativen auf dem Schwarzmarkt zu suchen. Steuern machen derzeit fast zwei Drittel des Endpreises von Alkohol aus.
Ozan Bingöl, ein anerkannter Steuerexperte, hat kürzlich Daten zu diesem Thema vorgestellt: "Wenn die Steuer vor 15 Jahren noch etwa 51,5 Türkische Lira pro Liter Alkohol betrug, liegt sie heute bei fast 1366 Lira – eine Steigerung von unglaublichen 2553 Prozent", schrieb er Anfang Februar auf X.
In einem Gespräch mit der Deutschen Welle bestätigt ein Einwohner der westlichen Stadt Izmir, dass Ausgehen für ihn zu einem Luxus geworden ist. Da der Kauf von Alkohol auf dem Schwarzmarkt mit einem großen Risiko verbunden ist, destilliert er seit fast zehn Jahren seinen eigenen Raki und gelegentlich Wein.
Er erinnert sich, dass eine Flasche Raki vor zehn Jahren etwa 18 Euro kostete. Er ist der Meinung, dass die islamisch-konservative Regierung das Steuersystem als repressives Werkzeug nutzt, um die liberale Bevölkerung dazu zu bringen, auf Alkohol zu verzichten. Die Regierung nutzt diese Frage auch, um die Gesellschaft zu spalten und Bürger, die nicht die konservativen Ansichten teilen, zu dämonisieren.
Der türkische Präsident Recep Erdogan verheimlicht nicht, dass er ein frommer Muslim ist und auf Alkohol verzichtet, was er in seinen Reden oft erw ähnt. Für ihn ist das nationale Getränk der Türkei das Joghurtgetränk Ayran.
Aufrufe zur Lockerung der Vorschriften
In Anbetracht der neuen Todesfälle durch gepanschten Alkohol haben türkische Berufskammern der Lebensmittel- und Chemieingenieure einen dringenden Appell an die Regierung gerichtet. Sie betonen, dass die extrem hohen Steuern nicht zu einem Rückgang des Alkoholkonsums geführt haben, sondern eine Bedrohung für die öffentliche Gesundheit geworden sind. Die Kammern fordern die Behörden auf, die Kontrollen zu verschärfen, um die illegale Produktion einzudämmen. Gleichzeitig appellieren sie an die Regierung, die drastischen Steuersätze, die derzeit ein Vielfaches der Produktionskosten betragen, zu senken, um die Bürger vom Schwarzmarkt fernzuhalten.
Cagin Tan Eroglu weist ebenfalls darauf hin, dass hohe Steuern nicht den gewünschten Effekt einer geringeren Konsumierung hatten, sondern, wie die jüngsten Ereignisse gezeigt haben, sogar zu mehr Todesfällen führten.
Er beschuldigt die Regierung, die aktuelle Politik aus ideologischen Gründen zu verfolgen und die Bürger, die Alkohol konsumieren, als "schlechte Bürger" zu betrachten. Eroglu kritisiert, dass selbst nach den jüngsten Todesfällen einige Politiker der Regierungspartei weiterhin Alkohol als allgemeine Ursache darstellen, ohne zwischen legaler und illegaler Produktion zu unterscheiden.
Diese Politik hat jetzt auch soziologische Konsequenzen. Der Alkoholkonsum beschränkt sich auf bestimmte liberale Stadtviertel als Folge des zunehmenden sozialen Ostrakismus. Eroglu sieht dies als einen Kulturkampf, der von der Regierung selbst ausgelöst wurde.
Seit 2014 ist in der Türkei jede Art von Werbung für Alkohol verboten. Alkoholproduzenten dürfen nicht mehr als Sponsoren auftreten, was zur Absage vieler bekannter Festivals geführt hat. Trink-Szenen in Filmen und Fernsehserien müssen verpixelt werden.
Laut offiziellen Statistiken beträgt der jährliche Alkoholkonsum pro Kopf in der Türkei etwa zwei Liter. Wie groß der tatsächliche Verbrauch ist, weiß niemand.