Indische Polizei nutzt umstrittene Technik zur Gedankenlese
Unser Gedächtnis kann verraten, ob wir ein Verbrechen begangen haben. Indische Strafverfolgungsbehörden nutzen eine ungewöhnliche und umstrittene Methode: BEOS soll Erinnerungen aus dem Gedächtnis verdächtiger Personen hervorholen – selbst solche, die die Untersuchten nicht preisgeben möchten.
Im Jahr 2021 wurde ein 20-jähriger Inder namens Surjaram von einer Schülerin der Vergewaltigung beschuldigt. Laut ihrer Darstellung geschah dies in einem Klassenraum, in den sie mit einem Messer gelockt und eingeschüchtert wurde. Das Mädchen berichtete ihrer Familie von dem Vorfall und erstattete Anzeige bei der Polizei.
Trotz der schweren Anschuldigungen wurde Surjaram gegen Kaution freigelassen. Laut Jonathan Moens, der auf der Website Science die gesamte Geschichte und die technologischen Hintergründe ausführlich beschreibt, führten drei Tests, die auf Wunsch des Verdächtigen durchgeführt wurden, zur Freilassung von Surjaram.
Anwendungen der Elektroenzephalografie
Das dritte Werkzeug zur Überprüfung der Glaubwürdigkeit des Verdächtigen war BEOS (Brain Electrical Oscillation Signature Profiling). Dabei handelt es sich um eine nicht-invasive Methode zur Untersuchung der Gehirnaktivität, die auf der in der Medizin weit verbreiteten Elektroenzephalografie (EEG) basiert.
Mit Elektroden, die am Kopf angebracht sind, kann durch das Erfassen von Veränderungen des elektrischen Potenzials an der Hautoberfläche die Gehirnaktivität untersucht werden. Dies dient unter anderem der Diagnose von epileptischen Anfällen, Gedächtnisschwächen, Ohnmachtsanfällen, Sehproblemen und anderen neurologischen Störungen.
Die P300-Welle
EEG ermöglicht auch die Erkennung der P300-Welle. Dabei handelt es sich um eine charakteristische, messbare Reaktion des Gehirns auf bekannte und zuvor verarbeitete Informationen. Studien über die P300-Welle werden seit den 1960er Jahren durchgeführt und dienten zunächst der Diagnose kognitiver Störungen.
Diese spezifische Gehirnreaktion kann auch verwendet werden, um Informationen im Gedächtnis zu entdecken, die die Testperson nicht preisgeben möchte. In den 1980er Jahren führte Dr. Lawrence Farwell an der Harvard University Forschungen zu sogenannten Gehirn-Fingerabdrücken (brain fingerprinting) und zur Erkennung von Lügen basierend auf der Gehirnaktivität durch.
Das Ergebnis ist das Reaktionsmuster des Gehirns namens P300-MERMER (Memory and Encoding Related Multifaceted Electroencephalographic Response): Einige Hundert Millisekunden nach dem Auftreten eines erkannten Reizes tritt eine positive P300-Welle auf, gefolgt von einer negativen Welle mit etwa 1200 ms Verzögerung. Dieses Muster ist auf dem Diagramm der Gehirnaktivität gut sichtbar.
Diese Forschungen interessieren die amerikanischen Sicherheitsbehörden. Dennoch lehnten sowohl das FBI als auch die CIA die Methode von Dr. Farwell Anfang des 21. Jahrhunderts als wenig nützlich ab. In Pakistan hingegen wurde die Methode von der Regierung aufgegriffen, die mit dem Wissenschaftler zusammenarbeitete.
BEOS enthüllt verborgene Erinnerungen
Basierend auf diesen Entdeckungen entwickelte der am Nationalen Institut für Psychische Gesundheit und Neurowissenschaften in Bangalore arbeitende Neurobiologe Professor Champadi Raman Mukundan das Verfahren BEOS. Laut seinem Erfinder kann man Reaktionen auf indirekt bekannte Ereignisse – etwa durch Klatsch oder Nachrichten – von solchen unterscheiden, die sich auf Ereignisse beziehen, an denen die getestete Person beteiligt war.
Infolgedessen kann BEOS nicht nur als Lügendetektor fungieren, sondern – durch das Aussetzen des Gehirns an einen ausgewählten Satz von Reizen – die getestete Person dazu zwingen, Erinnerungen preiszugeben, die sie nicht teilen möchte. Die indische Justiz hat diese Methode bereits in mindestens 700 Fällen angewendet. Die Entwicklung der BEOS-Methode und deren Förderung, auch außerhalb Indiens, hat die von Professor Mukundan gegründete Firma Axxonet übernommen.
BEOS – Kontroversen und Kritik
Das Problem besteht darin, dass BEOS bei vielen umstritten ist. Kritikern zufolge ist der Unterschied zwischen echten Erinnerungen und der bloßen Vorstellung von Ereignissen oft zu gering oder gar nicht erkennbar. Dies wirft Fragen zur Glaubwürdigkeit und damit zum Sinn der Anwendung der Methode auf.
Außerdem haben selbst von Axxonet durchgeführte Tests gezeigt, dass die Methode etwa 5 % falsch-positive Ergebnisse liefert. Sie legt oft eine Beteiligung an einem Verbrechen nahe, obwohl keine Beteiligung vorliegt.
Infolgedessen verbot der Oberste Gerichtshof Indiens im Jahr 2010 die Anwendung der BEOS-Methode ohne Zustimmung der betroffenen Person und schränkte gleichzeitig die Verwendung der so gesammelten "Beweise" in Gerichtsverfahren ein. Trotz der Kritik wird BEOS weiterhin in Indien eingesetzt, und seine Befürworter sehen in der Methode eine Folter-Alternative zur Polizei und eine Möglichkeit, das indische Strafjustizsystem "freundlicher" zu gestalten.