Nazaré: Paradies für Surfer und Heimat portugiesischer Legenden
Dies ist kein ruhiger, portugiesischer Ort für einen entspannten Urlaub. In Nazaré rauscht der Atlantik so laut, dass es schwerfällt, sich auf etwas anderes zu konzentrieren. Wenn die größten Wellen der Welt kommen, tritt alles andere in den Hintergrund. Doch Nazaré ist nicht nur ein sportliches Spektakel für Surf-Enthusiasten.
Nazaré ist eine Stadt, die im eigenen Rhythmus lebt, mit Legenden, einer nach Meer duftenden Küche und einem Radweg, der durch Wälder, Klippen und Dünen bis zur ruhigen Lagune Óbidos führt. Hier kann man das echte Portugal spüren: gleichzeitig rau, einfach und schön.
Hier herrscht die Natur
Es gibt Orte, an denen man das Gefühl hat, genau dort angekommen zu sein, wo man hinwollte. Genau das bewirkt Nazaré. Wenn man auf der Steilküste Sitio steht und hinunter auf den rauschenden Ozean blickt, kann man nicht umhin, Respekt zu empfinden. Hier spielt die Natur keine Nebenrolle. Hier herrscht sie.
Diese kleine portugiesische Küstenstadt erlangte weltweite Berühmtheit durch ihre Wellen. Und das sind nicht irgendwelche. Die Rekordwellen erreichen bis zu 30 Meter. Genau hier, am Fuße der Festung des Erzengels Michael, stellte der deutsche Surfer Sebastian Steudtner einen Weltrekord auf, indem er auf einer Welle von 26,21 Metern Höhe surfte.
Wenn im Oktober, November und Februar die großen Wellen kommen, wird es auf der Klippe voll. Touristen, Einheimische und Surfer – alle wollen sehen, wie der Mensch dem Naturphänomen ins Auge sieht.
Nach Nazaré gelangt man am einfachsten über Lissabon. Vom Flughafen in Lissabon sind es etwas mehr als 120 Kilometer nach Nazaré. Um von dort zum Ort zu gelangen, kann man ein Auto mieten, einen Bus nehmen oder eine Kombination aus Zug und lokalem Transport wählen.
Hirsche, Surfer und Frauen in Schwarz
Laut einer lokalen Legende jagte ein Ritter namens Dom Fuas Roupinho im 12. Jahrhundert einen Hirsch, der plötzlich am Rand der Klippe verschwand. Als sein Pferd in die Tiefe stürzen sollte, sah der Ritter die Jungfrau Maria und stoppte im letzten Moment. Zum Gedenken an dieses Ereignis entstand die Kapelle Ermida da Memória, in der sich eine kleine Figur der Nossa Senhora da Nazaré, der Milchjungfrau, befindet. Den Überlieferungen zufolge kam sie aus Nazareth.
Heute hat die Geschichte des Hirsches auch eine moderne Version. Über dem Ozean steht eine ungewöhnliche Skulptur namens Veado (Hirsch). Sie wurde 2016 von der portugiesischen Künstlerin Adália Alberto erschaffen. Dieses beeindruckende Werk, aus Marmor, Bronze und Stahl gefertigt, stellt eine Figur mit Hirschkopf dar, die an einem Surfbrett lehnt und auf Praia do Norte blickt, den Strand, der für die größten Wellen der Welt bekannt ist.
Genau hier kommen jedes Jahr, wenn die Winterstürme aufziehen, Surfer aus aller Welt nach Nazaré, um sich mit dem Ozean zu messen. 2011 begann die Tradition mit dem amerikanischen Surfer Garrett McNamara, der als Erster den Mut fand, diese gigantischen Wellen zu "besteigen", was eine neue Ära im Surfsport einläutete.
Unter den Wagemutigen war auch die brasilianische Surferin Maya Gabeira, die 2013 einen schweren Unfall erlitt und in einer riesigen Welle fast ertrank. Nach Jahren der Rehabilitation kehrte sie nach Nazaré zurück, um 2020 einen Guinness-Weltrekord aufzustellen, indem sie eine 22,4 Meter hohe Welle ritt – die höchste, die jemals von einer Frau bezwungen wurde.
Beim Spaziergang auf dem Hauptplatz kann man die älteren Damen in charakteristischen schwarzen Röcken nicht übersehen, die darunter immer sieben farbenfrohe Unterröcke tragen und deshalb "sete saias" (sieben Schichten) genannt werden. Die Tradition besagt, dass jede etwas anderes symbolisiert: die sieben Tugenden, die sieben Tage der Woche oder die sieben Wellen, auf die die Fischerfrauen warteten, wenn sie auf die Rückkehr ihrer Männer vom Meer hofften. Sete saias verkaufen hausgemachte Süßigkeiten: getrocknete Feigen, Zucker-Mandeln, Zimtkekse und unterhalten Touristen mit ihren Geschichten.
Fisch am Strick und Oktopus aus dem Ofen
Nazaré riecht definitiv nach Ozean. Und das ist keine Metapher. Morgens werden entlang des Strandes Holzgestelle aufgestellt, auf denen Frauen Fische zum Trocknen aufhängen. Meist sind es Makrelen, Sardinen, Bacalhau, also Kabeljau, und sogar Oktopusse.
Die Filets werden mit grobem Salz bestreut und für einige Stunden der Sonne und dem Wind vom Ozean ausgesetzt. Ohne Maschinen, ohne Beschleuniger. So wie es hier seit Generationen gemacht wird. Diese Methode der Lebensmittelkonservierung war einst eine Notwendigkeit für die Fischer, die Tage und Wochen auf See verbrachten, und für ihre Familien, die mit dem überlebten, was verfügbar war.
Heute ist getrockneter Fisch eine regionale Delikatesse. Man kann ihn auf dem Strand-Markt kaufen. Es ist Bestandteil der täglichen Speisen – serviert mit Kartoffeln, Ei, Öl, manchmal nur mit Brot und Salat.
In Portugal sollte man daran denken, dass die lokale Küche kein Fast Food ist, sondern ein familiäres Ritual. Vor allem wird lange gegessen. Zu Beginn gibt es immer Brot, Oliven, manchmal Schafskäse, Sardinen in Öl oder pastéis de bacalhau, also frittierte Kabeljaukroketten. Dann das Hauptgericht: frischer Fisch vom Grill, polvo à lagareiro (gebackener Oktopus mit Knoblauch und Öl), arroz de marisco (Reis mit Meeresfrüchten), oft so dicht und aromatisch, dass es wie ein Risotto mit maritimer Seele wirkt. Dazu eine Flasche Vinho Verde oder ein leichter Weißwein aus der Umgebung von Lissabon. Zum Nachtisch unbedingt ein Pastel de Nata, noch warm, mit einer Schicht gebrannter Creme und einer Prise Zimt.
In Nazaré mangelt es nicht an Orten, an denen man gut essen kann. Maria do Mar ist eines der bekanntesten Restaurants, obwohl es klein ist. Das tägliche Menü hängt davon ab, was die Fischer am Morgen gefangen haben.
Auf der Klippe Sitio befindet sich das Restaurant O Luís. Es ist ein weniger touristischer Ort, bietet jedoch die beste Fischsuppe der Umgebung. Dagegen ist São Miguel, direkt am Strand, ein Ort mit Aussicht, wo es sich lohnt, zum Mittagessen mit Oktopus oder zum Abendessen bei Sonnenuntergang vorbeizukommen.
Durch Dünen, Wald und Ozean auf zwei Rädern
Von Nazaré aus kann man weiter mit dem Fahrrad entlang des Ozeans bis zur ruhigen Lagune Óbidos fahren. Das ist eine der schönsten Radstrecken in Portugal. Sie erstreckt sich über 62 Kilometer und beginnt in São Pedro de Moel, führt durch die duftenden Wälder von Leiria, riesige Dünen (die größte ist 50 Meter hoch und 200 Meter breit), Klippen, Städtchen und Aussichtspunkte, die wirklich atemberaubend sind.
In São Pedro de Moel lohnt es sich, in der Marisqueira O Tonico anzuhalten. Ein großartiger Ort für gegrillten Kabeljau und Muscheln in Zitronensoße. Auf der Strecke gibt es Verleihe, die nicht nur Fahrräder liefern, sondern auch Service, Karten und… ein Picknick mit lokalen Speisen: Maisbrot, Oliven, Käse, frischem Obst und Süßigkeiten anbieten.
Lagune als Dessert
Die Radtour kann mit einer Bootsfahrt in der Lagune Óbidos abgeschlossen werden. Sie erstreckt sich zwischen Foz do Arelho und Bom Sucesso und ist von Dünen, Pinienwäldern und niedriger Bebauung umgeben. Das Wasser ist hier ruhig, flach und wärmer als im Ozean: Ein guter Ort zum Schwimmen, Paddleboarding oder einfach um knöcheltief im Wasser zu waten.
Es ist auch ein Paradies für Vogelbeobachter. Je nach Jahreszeit kann man hier Graureiher, Lachmöwen, Seeschwalben, Sandregenpfeifer sowie majestätische Kormorane beobachten, die auf den Küstenstangen mit ausgestreckten Flügeln sitzen. Manchmal tauchen auch Flamingos auf, selten, aber mit etwas Glück kann man eine ganze rosa Wolke vor dem Wasser sehen. Die Ufer der Lagune sind Nist- und Rastplätze für Vögel, die von Afrika nach Europa ziehen. Deshalb geben die Bootsführer den Touristen immer Ferngläser.
In Nazaré kann man sich definitiv leicht niederlassen, selbst wenn der Plan ein ganz anderer war. Alles läuft hier in seinem eigenen Rhythmus ab: ohne Eile, ohne Druck. Und vielleicht möchte man gerade deshalb hierher zurückkehren.