Russlands Tantalengpass: Verteidigungsindustrie vor Krise?
Gehen Russland tatsächlich die Tantalvorräte aus, ohne die es den Krieg nicht führen kann? Eine Analyse, die von "The Telegraph" initiiert und von anderen Medien aufgegriffen wurde, prognostiziert den Zusammenbruch der russischen Verteidigungsindustrie aufgrund eines Mangels an diesem Rohstoff. Doch die Realität ist weitaus komplexer.
Die britische Zeitung "The Telegraph" veröffentlichte eine Analyse, die eine baldige Krise in der russischen Verteidigungsindustrie vorhersagt. Der Grund sollen Engpässe bei Tantal sein – ein seltenes und wertvolles Element, das für die Produktion vieler moderner Waffensysteme benötigt wird.
Die in der britischen Publikation geäußerten Meinungen wurden schnell von zahlreichen Medien, wiederholt. Die Vermutungen über den russischen Rüstungssektor, der sich aufgrund des Mangels an Tantal am Rande des Zusammenbruchs befindet, haben jedoch wenig mit der Wahrheit zu tun, wie unter anderem ukrainische Medien betonen.
Was ist Tantal und warum ist der Zugang dazu für Moskau (sowie für alle anderen Staaten, die unter anderem moderne Waffen produzieren) von besonderer Bedeutung?
Afrikanische Tantalvorkommen
Tantal ist ein dunkles, glänzendes Metall, das sowohl korrosions- als auch säurebeständig ist und zudem Strom und Wärme gut leitet. Es findet Verwendung in Schmuck und einigen Uhren, wobei seine Hauptanwendung in der Elektronik liegt – Tantal wird für die Herstellung von Kondensatoren benötigt. Es spielt auch eine bedeutende Rolle im Verteidigungssektor – beispielsweise bei der Produktion von Raketendüsen, Flugzeugtriebwerksteilen und verschiedenen Schutzvorrichtungen.
Ähnlich wie viele andere wertvolle Elemente (wie Tungsten, das für die Rüstungsproduktion unerlässlich ist), ist Tantal ungleichmäßig auf der Erde verteilt und zudem stark zerstreut. Vorkommen mit einem Gehalt von 0,1 % Tantal gelten bereits als reichhaltig. Tantal wird unter anderem in Kanada abgebaut, aber die weltweit wichtigsten Vorkommen befinden sich in Afrika, unter anderem in der Demokratischen Republik Kongo in der Provinz Kivu.
Laut vorsichtigen Schätzungen befinden sich dort über 40 % der bekannten globalen Tantalvorkommen (in Form von Coltanerzen, die reich an diesem Element sind), jedoch weisen einige Quellen darauf hin, dass sich im Kivu sogar bis zu 70 % der erkundeten Vorkommen befinden.
Tantal in russischen Waffen
Im Januar 2025 erstellte die ukrainische Forschungsgruppe Frontelligence Insight einen Bericht über die eingeschränkte Verfügbarkeit von Tantal und seine knappen Vorräte in Russland. Der Bericht sorgte zunächst für wenig Aufsehen, aber im Mai veröffentlichte "The Telegraph" daraufhin einen Artikel mit der These, dass Russland aufgrund des Tantal-Mangels bald Probleme haben werde.
Es stimmt, dass die russische Industrie – wie jede andere – dieses Element benötigt. Der russische Bedarf wird auf etwa 800 Kilogramm pro Monat geschätzt, was bei Vorräten, die Anfang des Jahres auf zwei Tonnen geschätzt wurden, den Eindruck erwecken konnte, dass Moskau bald die Fähigkeit zur Produktion moderner Waffen verlieren könnte.
Die Liste der Ausrüstungen, die Tantal enthalten, ist – wie der ukrainische Dienst Defence Express feststellt – nahezu unbegrenzt. Sie umfasst sowohl Panzer (wie den T-72M3), verschiedene Kommunikationsgeräte, Ch-47M2 Kinzhal-Raketen, 9M727 Iskander-K-Raketen, Luft-Luft-Raketen R-77, Luft-Boden-Raketen Ch-59 und Ch-101 sowie diverse Drohnen. Wo Elektronik vorhanden ist, befindet sich höchstwahrscheinlich auch Tantal.
Nicht eingetroffene Prognose
Wäre die Prognose von "The Telegraph" korrekt gewesen, wäre Russland heute, etwa fünf Monate nach der Veröffentlichung von Frontelligence Insight, nicht in der Lage, Flugkörper zu produzieren. Doch die Produktion, wie die Daten über Lieferungen von Ch-101 zeigen, bleibt konstant.
Dies ist möglich, da weder der Westen noch Präsident Trump den globalen Tantalhandel kontrollieren. Sanktionen können lediglich die Lieferungen erschweren und die Logistikkette verlängern. Ein Beispiel dafür ist der Beitritt Kasachstans zu den Sanktionen, wodurch die Lieferung von verarbeitetem Tantal nach Russland gestoppt wurde und dort vorübergehende Engpässe verursachte.
Unabhängig vom eigentlichen Rohstoff flossen bis Ende 2024 weiterhin Kondensatoren, die Tantal enthalten, nach Russland. Diese werden von der amerikanisch-japanischen Firma Kyocera AVX geliefert, die ihre Produkte unter anderem in El Salvador herstellt und versendet.
Derweil übernahmen zu Jahresbeginn in der Demokratischen Republik Kongo Kämpfer der Kongolesischen Revolutionsarmee (auch bekannt als M23), die seit einem Jahrzehnt als besiegt galt, die größte Coltanmine der Welt in Rubaya. Laut Analysten hat sich die M23 nicht von selbst regeneriert – jemand musste die Kämpfer mit Waffen und Geld versorgen, wobei China als beteiligt am kongolesischen Umsturz gilt.