CDU bricht Tabu: AfD sichert Mehrheit für Migrationspläne
Zum ersten Mal hat ein Beschluss im Bundestag mithilfe der rechtsextremen AfD die Mehrheit erhalten. Die Partei stimmte für die Migrationspläne der CDU und ihres Kanzlerkandidaten.
Das deutsche Parlament nahm am Mittwoch (29.01.2025) einen Beschluss mit einem fünfpunktigen Antrag der CDU an, der unter anderem permanente Grenzkontrollen und die ausnahmslose Rückführung aller, die versuchen, die Grenze illegal zu überschreiten, vorsieht. Dies soll auch für Asylbewerber gelten. Ausländer, die das Land verlassen müssen, sollen in speziellen Zentren inhaftiert werden.
Am Freitag, den 31. Januar, wird der Bundestag über ein Gesetz abstimmen, das einige der im angenommenen Antrag geforderten Maßnahmen enthält.
Für den Antrag im Bundestag stimmten – neben den christdemokratischen CDU und CSU sowie der liberalen FDP – auch die AfD, eine Partei, die vom deutschen Verfassungsschutz teilweise als rechtsextrem eingestuft wird. Bisher lehnten die demokratischen Parteien in Deutschland eine Zusammenarbeit mit der AfD ab. Die Tatsache, dass der CDU-Vorsitzende und Kanzlerkandidat der CDU Friedrich Merz die Unterstützung der AfD für seine Pläne akzeptierte, betrachten Kommentatoren als Zusammenbruch der Brandmauer und das Ende eines Tabus. Die Tatsache, dass CDU/CSU die Zustimmung der AfD annahmen, um ihren Antrag durchzusetzen, wurde bereits zuvor weithin kritisiert, auch von den deutschen Kirchen.
"Ein schlechtes Zeichen für das Parlament und Deutschland"
Parteien, die dem Merz-Plan nicht zustimmten, weil sie ihn für einen Verstoß gegen EU-Recht und das grundlegende Asylrecht hielten, sind ebenfalls schockiert.
Bundeskanzler Olaf Scholz (von der sozialdemokratischen SPD) bezeichnete die Umstände der Abstimmung als "ein schlechtes Zeichen für das Parlament und Deutschland". "Ich werde noch eine Zeit brauchen, zu verarbeiten, was wir heute gemeinsam erlebt haben", schrieb Scholz auf X. Der Abstimmungstag werde "sicherlich von manchen als historisch beschrieben werden". In der abendlichen Fernsehsendung der ARD sagte er, dass er Merz nicht mehr vertrauen könne, der zuvor deutlich erklärt habe, dass "genau das, was heute passiert ist, nicht passieren würde", sich aber letztendlich anders verhalten habe.
Ähnlich reagierte der SPD-Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich. Dieser Tag – so sagte er – werde im Gedächtnis der Demokratie und wahrscheinlich auch in der Geschichte des Landes bleiben. "Unsere Fraktion, die SPD-Fraktion, ist empört", betonte er. Den von der AfD unterstützten CDU/CSU-Antrag nannte er "unseriös und unwahr". Die Bundestagswahl am 23. Februar dieses Jahres werde darüber entscheiden, ob dies nur ein unvorsichtiger, unverantwortlicher Fehler war oder erst der Anfang – sagte Mützenich.
Die Co-Vorsitzende der Fraktion der Grünen, Katharina Dröge, sagte: "Aus unserer Sicht ist das ein Einschnitt, eine Zäsur für den Deutschen Bundestag, unser Parlament – und ein schwarzer Tag für unsere Demokratie." – Dieses Land braucht eine CDU in der demokratischen Mitte. Es braucht eine CDU, die Verantwortung übernimmt – sagte Dröge in einem Appell an CDU und CSU. Sie fügte hinzu, dass sie Friedrich Merz wieder vertrauen möchte, aber er müsste die Brandmauer wiederaufbauen und sicherstellen, dass sich dies in Zukunft nicht wiederholt.
Die Linke spricht von "Dammbruch"
Auch die Linke kritisierte CDU und CSU scharf. Die Spitzenkandidatin dieser Partei bei den Bundestagswahlen, Heidi Reichinnek, sagte nach der Verkündung des Wahlergebnisses: "Herr Merz, aller politischen Differenzen zum Trotz, hätte ich mir niemals vorstellen können, dass eine christlich-demokratische Partei diesen Dammbruch vollzieht und mit Rechtsextremen paktiert."
Laut Reichinnek war die Mehrheit mit der AfD kein Zufall. "Sie haben diese Mehrheiten gesucht, gemeinsam mit der FDP haben sie diese Mehrheiten gezielt gesucht und das ist das verdammte Problem und Sie verstehen es bis jetzt noch nicht!" rief sie in Richtung der CDU und ihres Führers.
Merz bedauert und versichert
Friedrich Merz selbst schlug SPD und Grünen neue Verhandlungen vor. Der christdemokratische Kanzlerkandidat sagte, dass er "keine anderen Mehrheiten als die in der demokratischen Mitte unseres Parlaments" habe. "Wenn es hier heute eine solche Mehrheit gegeben hat, dann bedaure ich das", sagte er im Hinblick auf die Unterstützung der AfD.
In der abendlichen Nachrichtensendung des ARD-Fernsehens betonte Merz, dass es keinen Austausch oder Abstimmungen mit der AfD gegeben habe. Er unterstrich, dass seine Partei lediglich ihre eigene Position zu diesem Thema vertrete. Die Einbringung des Vorschlags zur Abstimmung stelle keine Kooperation mit der AfD dar. Zudem machte er deutlich, dass es keinerlei Zusammenarbeit zwischen CDU/CSU und der AfD gebe, unabhängig davon, wie sehr sich letztere über das Ergebnis freue.
Der parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion im Bundestag, Thorsten Frei, erklärte später im ZDF, dass CDU und CSU darauf hofften, dass die deutsche Regierung in der Asylpolitik aktiv werde. Er wies die Behauptung zurück, die Abstimmung diene als Vorbereitung für eine mögliche CDU-Minderheitsregierung nach den Wahlen. Dabei hob er hervor, dass angesichts der bedeutenden Entscheidungen eine stabile Regierung mit eigener Mehrheit erforderlich sei.
Der stellvertretende Vorsitzende der liberalen FDP, Wolfgang Kubicki, verteidigte seine Partei im Parlament. Die FDP werde "immer auf der Grundlage dessen entscheiden, was in der jeweiligen Angelegenheit richtig ist, und nicht danach, wie sich jemand verhält". Der Demokratie – sagte er – habe das Verhalten während der Abstimmung nicht geschadet, sondern die Tatsache, dass das demokratische Zentrum im Bundestag gespalten war. Sozialdemokraten und Grüne hätten mit ihrem Verhalten die AfD gestärkt, anstatt sie zu schwächen, weil sie Probleme beschrieben, aber nicht gelöst hätten – warf Kubicki der Regierung von Olaf Scholz vor. Vor der Spaltung im November letzten Jahres war die FDP Teil der Regierung von Olaf Scholz.
AfD: "Großartiger Tag"
Die AfD-Vorsitzende und Kanzlerkandidatin der Partei, Alice Weidel, bezeichnete die Abstimmung im Bundestag zur Verschärfung der Migrationspolitik als einen bedeutenden Tag für die Demokratie. Sie stellte fest, dass eine bürgerliche Mehrheit existiere und sachlich begründete Anträge erfolgreich eingebracht werden könnten. Zudem forderte Weidel CDU und CSU auf, zu überdenken, ob die von ihnen errichtete politische Abgrenzung, die sie als undemokratisch ansieht und Millionen Wähler ausschließe, weiterhin bestehen solle. Sie äußerte außerdem, dass die Union lange Zeit eine Begrenzung der Migration abgelehnt habe, nun jedoch Forderungen der AfD übernommen habe. Ihrer Einschätzung nach werde sich die Mehrheit im Bundestag künftig weiter zugunsten von AfD und CDU/CSU verschieben.
Der Co-Vorsitzende der AfD, Tino Chrupalla, sprach von einem "Wendepunkt in der Migrationspolitik". Er äußerte die Hoffnung, dass Friedrich Merz tatsächlich am Freitag das angekündigte Migrationsgesetz zur Abstimmung bringen werde.
Protest vor der CDU-Zentrale in Berlin
Gegen die gemeinsame Abstimmung von CDU/CSU und AfD zur Verschärfung der Migrationspolitik protestierten am Mittwochabend mehrere Hundert Menschen vor der CDU-Zentrale in Berlin. Die Kundgebung unter dem Motto "Brandmauer statt Anstachelung" wurde von Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International und der deutschen "Seebrücke" einberufen. Laut Polizei nahmen an der Demonstration etwa 650 Personen teil.