NachrichtenMerz fordert mehr Arbeit: Kontroverse um Kanzler-Pläne entbrannt

Merz fordert mehr Arbeit: Kontroverse um Kanzler-Pläne entbrannt

Der neue deutsche Kanzler Friedrich Merz erklärte auf der CDU-Wirtschaftskonferenz, dass "wir mehr und vor allem effizienter arbeiten müssen". Der Politiker fügte hinzu, dass "mit einer Vier-Tage-Woche und der Idee der Work-Life-Balance Deutschland seinen Wohlstand nicht aufrechterhalten könnte". Er kündigte auch die Abschaffung des Acht-Stunden-Arbeitstages an.

Deutschland unter der Lupe?
Deutschland unter der Lupe?
Bildquelle: © Getty Images | SOPA Images

Die Äußerungen des Kanzlers führten zu Kontroversen unter Kommentatoren, die sich fragen, ob Merz die Arbeitsmoral seiner Landsleute infrage stellt und andeutet, dass die Deutschen zu faul geworden sind, was der Wirtschaft schadet.

Die neuesten Daten des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) zeigen, dass die Deutschen tatsächlich weniger arbeiten als die Einwohner der meisten OECD-Länder. Im Jahr 2023 entfielen auf jeden Deutschen im erwerbsfähigen Alter 1.036 Arbeitsstunden, womit Deutschland den drittletzten Platz im Ranking belegt. Weniger arbeiten nur noch die Franzosen und Belgier, während die Rekordhalter aus Neuseeland etwa 1.400 Stunden pro Jahr arbeiten.

Holger Schaefer, ein Arbeitsmarktexperte des IW, betont jedoch im Gespräch mit der Zeitung "Bild", dass es nicht wahr ist, dass die Deutschen immer weniger arbeiten. "Im Vergleich zu den 1970er Jahren arbeiten wir weniger, aber seit der Wiedervereinigung des Landes arbeiten wir etwas mehr", erklärte er. Im Jahr 2013 lag die durchschnittliche Anzahl der Arbeitsstunden pro Person im erwerbsfähigen Alter bei 1.013, also 23 Stunden weniger als ein Jahrzehnt später.

Polen, Griechen und Spanier vergrößern den Abstand

In anderen europäischen Ländern stieg die Anzahl der Arbeitsstunden viel schneller als in Deutschland. In Polen stieg dieser Indikator von 2013 bis 2023 von 1.060 auf 1.304 Stunden (ein Anstieg um 23 %), in Griechenland von 968 auf 1.172 (ein Anstieg um 21 %), und in Spanien von 926 auf 1.066 (ein Anstieg um 15 %). Für die deutschen Medien ist der Vergleich mit diesen drei Ländern besonders bitter, zumal Deutschland Griechen und Spanier während der globalen Finanzkrise oft mangelnde Arbeitsmoral vorgeworfen hat.

Unterdessen kann die deutsche Wirtschaft seit drei Jahren nicht auf den Wachstumspfad zurückkehren. Im April des vorigen Jahres senkte die frühere Regierung die BIP-Wachstumsprognose für das Jahr 2025 von 0,3 % auf null. Eines der Hauptprobleme deutscher Unternehmen ist der Mangel an Arbeitskräften, insbesondere an qualifizierten Fachkräften. Arbeitgeber unterstützten daher den Appell des Kanzlers zu mehr Engagement bei der Arbeit.

Wolfram Hatz, Präsident des Bayerischen Wirtschaftsverbandes (vbw), erklärte: "Um zur Wettbewerbsfähigkeit zurückzukehren, müssen wir wieder mehr arbeiten". Seiner Meinung nach kann dies durch die Verlängerung der Arbeitswoche oder die Erhöhung der Arbeitstage erreicht werden. Er schlägt sogar vor, einige Feiertage, die mit religiösen und staatlichen Feiertagen verbunden sind, abzuschaffen.

In ganz Deutschland gibt es zehn arbeitsfreie Feiertage, aber in einigen Regionen sind es mehr – in dem katholischen Bayern sogar 13. Laut Peter Adrian, Präsident der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK), befinden sich die Deutschen in einer "Luxussituation" mit ihrer vergleichsweise kurzen Arbeitswoche und der großen Anzahl an Urlaubstagen. Das IW-Institut hat berechnet, dass ein zusätzlicher Arbeitstag das BIP um 0,2 % steigern könnte, was Einnahmen von bis zu 8,6 Milliarden Euro generieren würde.

Gewerkschaften protestieren, Ökonomen weisen auf andere Probleme hin

Deutsche Gewerkschaften lehnen die Vorschläge zur Verlängerung der Arbeitszeit vehement ab. Eine Verkürzung der Arbeitszeit war eine der Hauptforderungen bei den jüngsten Streiks und Tarifverhandlungen im Schienenwesen und im öffentlichen Sektor. Yasmin Fahimi, Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), erklärte bei einer Maikundgebung in Chemnitz: "Schluss mit dem Gequatsche, dass die Menschen faul sind".

Ökonomen betonen, dass die niedrigere durchschnittliche Anzahl der Arbeitsstunden in Deutschland nicht auf mangelnde Arbeitsmoral hindeutet. Sie verweisen auf den hohen Anteil von Teilzeitbeschäftigten – im Jahr 2023 betrug dieser etwa 30 % der Erwerbstätigen. Im Vergleich dazu waren es in Italien etwa 18 %, und in Polen nur 6 %. Frauen stellen die Mehrheit der Teilzeitbeschäftigten dar, was hauptsächlich auf die Notwendigkeit der Vereinbarkeit von Beruf und Kinderbetreuung bei begrenzter Verfügbarkeit von Krippen und Kindergärten zurückzuführen ist.

In Bezug auf die Arbeitsproduktivität schneiden die Deutschen wesentlich besser ab als viele andere OECD-Länder, einschließlich Polen, Griechenland oder Spanien. Die gesamte Arbeitszeit in Deutschland erreichte ein Rekordniveau von 55 Milliarden Stunden. Die Erwerbsquote von 77 % ist ebenfalls höher als in vielen anderen Ländern, und das gesetzliche Rentenalter (derzeit 66 Jahre und zwei Monate) soll bis 2031 auf 67 Jahre steigen.

Laut Experten wird selbst eine längere und flexiblere Arbeitszeit das zentrale Problem der deutschen Wirtschaft – den Arbeitskräftemangel – nicht lösen. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) schätzt, dass es derzeit 1,4 Millionen offene Stellen in 183 Berufen gibt, die nicht besetzt werden können. Das Problem wird sich vertiefen, da bis 2036 fast 20 Millionen Menschen der Baby-Boom-Generation in Rente gehen werden. Die einzige Lösung scheint die Anwerbung von qualifizierten Fachkräften aus dem Ausland zu sein, jedoch erschwert die aktuelle Diskussion über eine Verschärfung der Migrationspolitik und zunehmende fremdenfeindliche Stimmungen dieses Ziel.

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